Björn, der Bär

Dunkel und grün waren die Wälder links und recht des Weges, der eine Straße sein sollte, ein Straße, für die wir sogar Gebühren bezahlt hatten, Maut, wie man dazu sagt, eine gebührenpflichtige Privatstraße in Mittelnorwegen, die sich durch irgendwelche abgelegene felsige moorige Gebiete schlängelte und eigentlich an einem See enden sollte. Sie hatte uns schon an vielen kleinen Tümpeln vorbei geführt, der ersehnte See aber war noch nicht in Sicht.

Wie gerne hätten wir mal wieder einen Elch gesehen, vorzugsweise einen mit großartigem Geweih, auch einen Fuchs vielleicht oder ein Vielfraß, wenigstens aber ein paar Rentiere, aber nichts dergleichen ließ sich blicken. Suchend schweiften meine Blicke über ausgedehnte Moore und durchdrangen dichte Wälder. Ich versank in Gedanken.

Da sprang, wie aus dem Nichts, unerwartet, unvorhergesehen ein großer schwarzer Bär aus dem dichten Wald und auf die Straße, den Waldweg. Jasmin, die den Wagen steuerte, trat geistesgegenwärtig auf die Bremse und brachte den Wagen wenige Meter vor dem Bären zum Stehen.

„Guten Tag“, sprach der Bär, „ich bin Björn, der Bär, und wer seid ihr?“ Er sah uns mit großen blauen Augen an.

„Ich bin Nick“, sagte ich, „und das“ – ich deutete auf meine Begleiterin am Steuer – „das ist Jasmin, wir kommen aus Deutschland“

„Übrigens“, ergänzte der Bär, als könne er Gedanken lesen „ich bin nicht schwarz, sondern braun, und meine Augen sind ebenfalls braun, nicht blau!“

Es war mir nicht nach einer Auseinandersetzung mit Björn, wie sich das gewaltige Tier vorgestellt hatte, also nahm ich von weiteren Diskussionen zu diesem Thema Abstand. Vielmehr bemühte ich mich um ein freundliches Gesicht und lächelte den Bären entgegenkommend an.

„Wollt ihr nicht aussteigen, ihr zwei aus Deutschland? Es läßt sich so schlecht plaudern, wenn ihr da so hoch in eurem Wagen sitzt. Oder habt ihr etwa Angst vor mir?“

Danach war uns nun eigentlich überhaupt nicht zumute, aber um den Bären nicht zu reizen, stiegen wir tatsächlich, wenn auch widerstrebend, aus dem Wagen und lächelten nun beide betont freundlich. Schließlich hätte er uns ja auch womöglich aus dem Wagen holen können: ein einziger Schlag mit seiner riesigen Pranke, und die Windschutzscheibe wäre wie weggeblasen gewesen.

„So, Jasmin und Nick heißt ihr also, ihr macht hier wohl Urlaub, hab ich’s erraten?“

„Ja, ähm… genau“, erwiderte ich redselig, „Urlaub machen wir hier, wir sind eigentlich jedes Jahr irgendwo in Skandinavien, und dieses Jahr wollten wir uns Norwegen ein bißchen näher ansehen, Schweden kennen wir schon zu gut. Es gefällt uns recht gut hier, auch wenn Norwegen meist weniger einsam ist, als Schweden, aber was macht das schon.“ Das Land, aus welchem Björn stammte, zu loben, schien mir eher angebracht, als offen zuzugeben, daß uns die lästigen norwegischen Wohnwagen an jedem schönen Plätzchen längst unangenehm aufgefallen waren.

„Ja, da habt ihr schon recht“, entgegnete Björn, „schön ist es hier schon, aber ein wenig einsamer wäre es mir auch lieber. Habt ihr schon die vielen Wohnwagen gesehen, die da unten am See stehen? Gefallen mir gar nicht…“ Björn schüttelte ärgerlich den Kopf.

Nun, an diesem See waren wir noch nicht gewesen, und so konnten wir wahrheitsgemäß verneinen, ohne uns in Widersprüche zu verwickeln.

„Seid ihr zum Angeln unterwegs?“, ergriff Björn wieder das Wort. Mir war nicht wohl in meiner Haut, hinten im Wagen hing eine Angel, aber es sollte keinesfalls so aussehen, als wollten wir dem Bären seine Fische wegangeln.

„Zum Angeln? Nein, nein… wir angeln nicht, dazu sind wir zu ungeschickt“, entgegnete ich und Jasmin ergänzte: „Fisch essen wir lieber aus der Dose“.

Das schien Björn zu beruhigen. Die Angel hatte er nicht bemerkt.

„Wobei“, fügte Jasmin hinzu, um unser Desinteresse an norwegischem Fisch noch zu unterstreichen, „wobei ich ja am liebsten ja den schwedischen „rökt Emirskinka“ esse, aber den gibt’s leider nicht in Norwegen. Der norwegische Schinken ist überhaupt mit dem schwedischen nicht zu vergleichen, ich finde den schwedischen Schinken weitaus delikater, mein Freund hier neben mir ist übrigens der gleichen Meinung“

Das jedoch war hätte sie besser nicht gesagt, denn bei dem Wort „Schinken“ wurde Björn hellhörig und seine Augen begannen, seltsam zu glänzen. E ergriff sogleich wieder das Wort: „Ja richtig, da habt ihr wirklich recht, das kann ich bestätigen. Schwedischer Schinken ist eine Delikatesse und besonders der Emir-Schinken mundet mir vorzüglich, da bin ich mit Jasmin ganz einig.“ Björn leckte sich genüßlich die Bärenschnauze. „Ich weiß das aus meiner eigenen Erfahrung mit vielen Touristen, die von Schweden nach Norwegen gekommen waren.“

Es entstand eine kurze Pause. Wir waren beide kreidebleich geworden und mühsam um Fassung bemüht, brachte ich mit krächzender Stimme heraus: „Erfahrung mit Touristen? Wie meinst du das, Bär?“

Der Bär schwieg ein paar Sekunden, die uns wie eine Ewigkeit vorkam. Dann kam er ein paar Schritte auf uns zu, seine Augen waren jetzt ganz klein geworden und er sah uns schräg von der Seite an. Er war zum Greifen nahe, ich konnte seinen Atem spüren. „Ach… nur so. Ihr habt nicht zufällig ein wenig schwedischen Schinken bei euch?“

 

Ein tiefes Schlagloch hob mich fast aus dem Sitz. Der holprige Weg beschrieb eine langgestreckte Kurve, da lag in seiner ganzen Pracht der See vor uns. Ein paar niedliche Inselchen streckten sich keck aus dem Wasser, der Himmel war blau, nur mit einer Reihe Schönwetterwölkchen verziert.